Niccolo Machiavelli - Biographie
1739
Friedrich II. von Preussen schreibt als Siebenundzwanzigjähriger seinen 'Anti-Machiavel':
"Ich übernehme die Verteidigung der Menschlichkeit wider diesen Unmenschen, der dieselbe vernichten will; ich setze die Vernunft und die Gerechtigkeit dem Sophismus und dem Laster entgegen...ich habe allzeit Machiavellis Buch von der Regierungskunst eines Fürsten als eines der allergefährlichsten Bücher angesehen, die jemals in der Welt verbreitet wurden."
Hehre Worte eines Fürsten, der `seinen Machiavelli´ offensichtlich genau studiert hat und vermutlich deswegen heute den Titel 'der Große' trägt. Voltaire schätzte dieses Buch und schrieb bei Neuherausgabe dieses Werkes sogar ein Vorwort. Wenige Monate nach seiner Thronbesteigung 1740 marschiert Friedrich II. in einer für damalige Verhältnisse lange geheimgehaltenen und spektakulären Militäraktion in Schlesien ein, um seinen Machtanspruch auf dieses Territorium durchzusetzen.
1762 - 1888
Kurioserweise hat Jean Jacques Rousseau die pointierteste Formulierung für den heimlichen Republikanismus des "Principe"-Autors gefunden:
"Unter dem Vorwand, den Königen Lehren zu geben, hat er in Wirklichkeit die Völker gelehrt. 'Der Fürst' von Machiavelli ist in Wahrheit das Buch der Republikaner."
Wie Machiavelli erblickt Rousseau im republikanischen Rom das "Musterbild aller Völker". Rousseaus geschichtsphilosophischer Pessimismus wiederholt alle Motive der machiavellischen Dekadenztheorie. Starken Machiavellischen Einfluß verrät auch das berühmte "Législateur"-Kapitel aus dem 'Contrat social' (1762), das in seiner Schilderung der menschenumwandelnden Bürgererziehung die Motive der Machiavellischen Politisierung durch den 'uomo virtuoso' wieder aufnimmt.
Auch Denis Diderot, der geniale und leider viel zu wenig gelesene Aufklärer widmet in der berühmten 'Encyclopédie' Machiavelli einen Artikel, der aufräumt mit den Vorurteilen.
Aber besonders fleißig wird Niccolo Machiavelli in Deutschland studiert. Der Denker Machiavelli, so Herder, sei aus seiner Zeit heraus verständlich zu machen, als Renaissance-Autor zu lesen, der seinen Zeitgenossen ein Meisterwerk gegeben habe, das die vorgefundene politische Wirklichkeit gespiegelt habe; insbesondere sei die anstößige Trennung von Politik und Moral nicht als Beitrag zu einer philosophischen Diskussion zu werten, sondern als Zeitphänomen zu begreifen. Herder schreibt 1795 in seinen 'Briefen zur Beförderung der Humanität':"
Wie viel ist über Machiavellis Fürsten gesagt worden, und doch zweifle ich, ob mit dem ausgemachten Resultate, indem Einige dies Buch für eine Satire, Andre für ein verderbliches Lehrbuch, Andre für ein wankendes, schachköpfiges Mittelding zwischen beiden halten. Und ein Schachkopf war wahrlich Machiavell nicht; er war ein Geschicht- und Welterfahrner, dabei ein redlicher Mann, ein feiner Beobachter und ein warmer Freund seines Vaterlandes. Dass er den Wert und die Form von mancherlei Staaten gekannt habe, davon zeugen seine Dekaden über den Livius, und daß er kein Verräter der Menschheit werden wollte, beweist jede Zeile seiner andern Schriften sowie bis zum Alter hinan sein geführtes Leben."
Im Jahr 1782 wurden Machiavellis gesamte Werke in sechs Quartbänden herausgegeben. Lord Cowper, ein englischer Bewunderer Machiavellis lässt ihm 1787 in Florenz in der Kirche Santa Croce von Innocenzo Spinazzi ein Denkmal errichten mit der Inschrift:"Tanto nomine nullum par elogium". (Einem solchen Namen wird kein Lob gerecht.) Johann Gottlieb Fichte wird später umfassend über Machiavelli arbeiten und 1807 'Machiavell als Autor' publizieren. Die 'Reden an die deutsche Nation' sind auf der Folie des patriotischen Aufrufs im 26. Kapitel des 'Il Principe', Italien von den fremden Mächten, den Barbaren, zu befreien und einen geeinten Staat zu schaffen, nur allzu verständlich.
Der französische Anwalt und Schriftsteller Maurice Joly (1829-1878) hat eines der originellsten Bücher über Machiavelli geschrieben: "Gespräche in der Unterwelt - Machiavelli contra Montesquieu". Er läßt, wie der Titel andeutet, die beiden politischen Denker in 25 fiktiven Gesprächen gegeneinander antreten. Machiavelli, der Verfasser des ‚Il Principe’ versucht in den Dialogen aus dem Jahr 1864 den Verfasser des ‚L’esprit des Lois’ davon zu überzeugen, daß es ihm nicht schwer fallen würde, den aus dem Sieg der Aufklärung hervorgegangenen und durch demokratische Institutionen gesicherten Rechtsstaat erfolgreich unter die Gewaltherschaft eines modernen Despoten zu zwingen. Doch das ganze Werk ist ein raffiniertes Spiel mit Masken, um massive Kritik an den aktuellen politischen Verhältnissen zu äußern. Während Montesquieu den Part des Verteidigers der bürgerlichen Freiheiten und humanistischen Werte spricht, verkündete Napoleon III. durch den Mund Machiavellis seine despotischen und zynischen Halbwahrheiten: Politik und Moral seien Gegensätze, Macht und Recht seien identisch. Wörtlich spricht er zu Montesquieu: "Ihr Fehler ist, daß sie das Volk achten. Sie haben keine Ahnung, wie dumm es ist." Der damals weit über die Grenzen von Paris bekannte Rechtsanwalt Maurice Joly wollte mit seinem Buch das französische Volk aufrütteln und vor der Diktatur Napoleons III. warnen. Er wollte aufzeigen, wie leicht ein Diktator die Schwächen der Demokratie nutzen kann. Kein Wunder, daß Joly in Frankreich keinen Drucker für derartiges fand, müßte dieser doch um sein Leben bangen. Kein Wunder, daß das Buch, das in Belgien erschien, verboten und eingestampft wurde. Joly mußte zwei Jahre im Kerker verbringen und eine hohe Geldstrafe bezahlen; beruflich kam er nie wieder auf einen grünen Zweig - eine kuriose Parallele zu Machiavellis Schicksal. In diesem Buch, und das macht es auch zeithistorisch bedeutsam, zitiert Joly Passagen aus den 'Protokollen der Weisen von Zion", der wohl folgenreichsten literarischen Fälschung der Moderne; die in alle Weltsprachen übersetzten 'Protokolle' begründetetn den Mythos von der jüdischen Weltverschwörung und stützten so die absurde These des Antisemitismus im 20. Jahrhundert, es gäbe einen Plan der Juden zur Unterwerfung der Welt. Übrigens hat Joly ein wunderbares, kürzlich wieder publiziertes 'Handbuch des Aufsteigers' geschrieben - auch so ein Geheimtipp. Lange bevor Maurice Jolys Buch 'Dialogues aux Enfers entre Machiavelli et Montesquieu' in Erscheinung trat, wurde ein anderes Buch in Berlin im Jahre 1850 veröffentlicht, das ziemlich denselben Titel trug. Es wurde genannt 'Machiavelli, Montesquieu, Rousseau' von Jacob Venedy, und wurde von Franz Dunnicker in Berlin veröffentlicht. Der Autor Jacob Venedy war Jude, im Mai 1805 in Köln geboren, starb er im Februar 1871. ... Venedy war ein enger Freund und Mitarbeiter von Karl Marx...
Friedrich Nietzsche schreibt 1888 in sein Notizbuch:
"Den Griechen verdanke ich durchaus keine verwandten Eindrücke; im Verhältniß nämlich zu Plato bin ich ein zu gründlicher Skeptiker, und habe nie in die Bewunderung des Artisten Plato, die unter Gelehrten üblich ist, einzustimmen vermocht. Er wirft, wie mir scheint, alle Formen des Stils durcheinander: er hat Etwas Ähnliches auf dem Gewissen, wie die Cyniker, welche die Satura Menippea erfanden. Daß der Platonische Dialog, die entsetzlich selbstgefällige und kindliche Dialektik als Reiz wirken kann, dazu müßte man niemals gute Franzosen gelesen haben. Zuletzt geht mein Mißtrauen in die Tiefe bei Plato: ich finde ihn so abgeirrt von allen Grundinstinkten des Hellenen, so verjüdelt, so präexistent-christlich in seinen letzten Absichten, daß ich von dem ganzen Phänomen Plato eher das harte Wort "höherer Schwindel" gebrauchen möchte als irgend ein andres. Man hat theuer dafür bezahlt, daß dieser Athener bei den Ägyptern in die Schule gieng ( — wahrscheinlich bei den Juden in Ägypten...) In dem großen Verhängniß des Christenthums ist Plato eine jener verhängnißvollen Zweideutigkeiten, die den edleren Naturen des Alterthums es möglich machte, die Brücke zu betreten, die zum "Kreuz" führte...Meine Erholung, meine Vorliebe, meine Kur von allem Platonismus war jeder Zeit Thukydides. Thukydides und, vielleicht, der principe Machiavellis, sind mir selber am meisten verwandt, durch den unbedingten Willen, sich nichts vorzumachen und die Vernunft in der Realität zu sehn, — nicht in der "Vernunft", noch weniger in der "Moral"... Von der jämmerlichen Schönfärberei, die der klassisch gebildete Deutsche als den Lohn für seinen "Ernst" im Verkehr mit dem Alterthum einerntet, kurirt nichts so gründlich als Thukydides. Man muß ihn Zeile für Zeile umwenden und sein Nicht-Geschriebenes so deutlich ablesen wie seine Worte: es giebt wenige so substanzreiche Denker. In ihm kommt die Sophisten-Cultur, will sagen die Realisten-Cultur zu ihrem vollendeten Ausdruck: diese unschätzbare Bewegung inmitten des eben allerwärts losbrechenden Moral- und Ideal-Schwindels der sokratischen Schulen. Die griechische Philosophie schon als die décadence des griechischen Instinkts: Thukydides als die große Summe aller starken, strengen, harten Thatsächlichkeit, die dem älteren Hellenen im Instinkt lag. Der Muth unterscheidet solche Naturen wie Plato und Thukydides: Plato ist ein Feigling — folglich flüchtet er ins Ideal — Thukydides hat sich in der Gewalt, folglich behält er auch die Dinge in der Gewalt."
In den Fragmenten findet sich folgende Stelle:"Höhepunkte der Redlichkeit: Machiavell, der Jesuitismus, Montaigne, Larochefoucauld. Die Deutschen als Rückfall in die moralische Verlogenheit."
Sicherlich hatte der Baseler Professorenkollege Jakob Burckhard mit seiner Kulturgeschichte der Renaissance in Italien (1860) nicht unwesentlichen Einfluss auf Nietzsches Renaissanceverständnis. Burckhardt schreibt in diesem im doppelten Sinne epochemachenden Werk über Machiavelli:
"Von allen jedoch, die einen Staat meinten konstruiren zu können, ist Machiavelli ohne Vergleich der größte. Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendeige, aktive, stellt die Alternativen richtig und großartig und sucht weder sich noch andere zu täuschen. Es ist in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch schreibt er ja nicht für das Publikum, sondern entweder für Behörden und Fürsten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falscher Genialität, auch nicht im falschen Ausspinnen von Begriffen, sondern in einer starken Phantasie, die er offenbar mit großer Mühe bändigt. Seine politische Objektivität ist allerdings bisweilen entsetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber sie ist entstanden in einer Zeit äußerster Not und Gefahr, da die Menschen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben, noch die Billigkeit voraussetzten konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieselbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unserem Jahrhundert an der Arbeit gesehen haben, keinen besondern Eindruck. Macchiavell war wenigstens imstande, seine eigene Person über den Sachen zu vergessen. Ueberhaupt ist er ein Patriot im strengsten Sinne des Wortes, obwohl seine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles direkten Enthusiasmus bar und ledig sind und obwohl ihn die Florentiner selber zuletzt als einen Verbrecher ansahen. Wie sehr er sich auch, nach der Art der meisten, in Sitte und Rede gehen liess - das Heil des Staates war doch sein erster und letzter Gedanke."
1900-2002
Wer denkt im 20. Jahrhundert über Machiavelli nach. Hier nun einige disperate Hinweise für wahre Forscher: Antonio Gramsci, Carl Schmitt, Leo Strauss, Louis Althusser, Eric Voegelin - ...
Einen interessanten Gedanken über die raffinierte Strategie, Machiavelli zu diffamieren, zitiert Carl Schmitt in seiner Schrift "Der Begriff des Politischen":"Dieses Schicksal ist Machiavelli widerfahren, der, wenn er ein Machiavellist gewesen wäre, statt des Principe wohl eher ein aus rührenden Sentenzen zusammengesetztes Buch geschrieben hätte. In Wirklichkeit war Macchiavelli in der Defensive, wie auch sein Vaterland Italien, das im 16. Jahrhundert den Invasionen von Deutschen, Franzosen, Spaniern und Türken ausgesetzt war. Die Situation der ideologischen Defensive wiederholte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland, während der revolutionären und napoleonischen Invasion der Franzosen. Damals brachten Fichte und Hegel den Macchiavelli wieder zu Ehren, als es für das deutsche Volk darauf ankam, sich eines mit einer humanitären Ideologie expandierenden Feindes zu erwehren." Denker dieses Satzes ist übrigens Manuel Fraga Iribarne - Francos Innenminister und noch jetzt Politiker.
Neben diesen Denkern existiert eine Spezies von Machiavelli-Ausnutzern, die mit ihren schwachsinnigen Ratgeberbüchern Kapital aus Machiavellis teuflischen Ruf schlagen. Und so erschien auch 1997 das letzte Blödbuch mit dem Namen des Italieners im Titel: 'Machiavelli für Frauen' von einer Harriet Rubin auf der Bestsellerliste. Auch ein 'Machiavelli für Kinder' und ein 'Machiavelli für Manager' wurde schon publiziert: zweifelhafter Ruhm allemal...
Verfasser: Jens Dechering
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